
Fachkräftemangel im Fokus
Interview mit Stefan Beil, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Würzburg, über Herausforderungen und Lösungen zum Fachkräftemangel in der Region
Welche Fakten belegen den Fachkräftemangel, und welche Folgen sind künftig zu erwarten?
Stefan Beil: Die Gewinnung von Fachkräften stellt nicht nur das Handwerk vor große Herausforderungen. Engpässe zeigen sich vor allem in Pflege- und medizinischen Berufen sowie auf dem Bau und in der IT. Aber auch Köchinnen und Köche, Berufskraftfahrerinnen und -fahrer sowie Erzieherinnen und Erzieher werden händeringend gesucht. Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht in ihrer jährlichen Engpassanalyse Berufsgruppen, die besonders knapp sind. Für die Bewertung werden sechs unterschiedliche Indikatoren wie beispielsweise die abgeschlossene Vakanzzeit herangezogen. Hierbei handelt es sich um den Zeitraum vom gewünschten Besetzungstermin einer beim Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur gemeldeten freien Stelle bis zum tatsächlichen Besetzungszeitpunkt. Für Berufe im Metallbau und der Schweißtechnik oder der Lebensmittelherstellung beträgt diese inzwischen fast 200 Tage. Auch im Ausbildungsbereich beobachten wir eine besorgniserregende Entwicklung: Angebotene Ausbildungsstellen können nur mit viel Aufwand oder im worst case gar nicht besetzt werden, da die Bewerberinnen und Bewerber fehlen. Dies wird sich in den kommenden Jahren demographiebedingt weiter zuspitzen. Die Babyboomer verabschieden sich sukzessive aus dem Arbeitsleben und die entstehenden Lücken werden nur noch schwer mit dem beruflichen Nachwuchs zu schließen sein.
Wie hoch ist der aktuelle Fachkräftebedarf in Unterfranken?
Stefan Beil: In den drei unterfränkischen Arbeitsagenturen Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg sind derzeit über 10.000 offene Stellen für Fachkräfte gemeldet. Der tatsächliche Fachkräftebedarf liegt allerdings noch höher, da nicht alle Betriebe ihre offenen Stellen den Arbeitsagenturen melden.
Sie haben die Formel 60-20-20 kreiert: 60 Prozent der offenen Stellen entfallen auf Fachkräfte, 20 Prozent auf Experten, 20 Prozent auf Helferberufe. Ist das nicht ein deutlicher Appell, die berufliche Bildung zu stärken?
Stefan Beil: Die Zahlen sprechen da für sich. Um den Fachkräftemangel zu begegnen, ist es erforderlich, an allen sich bietenden Stellschrauben zu drehen. Es ist unerlässlich, alle Potenziale zu erschließen, wie z.B. die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern, die berufliche Weiterbildung zu stärken, die Zuwanderung von Fachkräften zu erleichtern und natürlich auch den Fokus auf einen erfolgreichen Berufseinstieg zu richten. Es ist ein erklärtes Ziel der Arbeitsagenturen, dass kein Jugendlicher beim Übergang von der Schule in den Beruf verloren gehen darf. Alle Ausbildungsbeteiligten müssen hier an einem Strang ziehen. Mit unseren Netzwerkpartnern in Unterfranken stimmen wir uns diesbezüglich kontinuierlich ab und suchen nach Lösungen, um möglichst viele junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen.
„Dass die Beschäftigung in der Vergangenheit in Unterfranken weitgehend stabil geblieben ist, ist ausschließlich der wachsenden Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften zu verdanken“, sagt Stefan Beil, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Würzburg.
Deutschland hat in den vergangenen Jahren viele Flüchtlinge aufgenommen. Welches Potenzial sehen Sie in dieser Gruppe für den regionalen Arbeitsmarkt? Und was muss geschehen, damit der Übergang in Ausbildung und Beschäftigung noch besser gelingt?
Stefan Beil: Wir haben in Unterfranken viele gelungene Beispiele von Geflüchteten, die sich gut in den Arbeitsmarkt integriert haben. Mehrheitlich sind diese oftmals in eher einfacheren Tätigkeiten beschäftigt. Neben den Helfertätigkeiten brauchen wir jedoch vor allem Fachkräfte und dafür müssen Qualifikationen gezielt weiterentwickelt und Sprachkenntnisse gefördert werden. Außerdem ist es unerlässlich, dass möglichst frühzeitig Klarheit über die Bleibeperspektiven der Betroffenen besteht.
Kann qualifizierte Zuwanderung zur Lösung des Fachkräfteproblems beitragen? Und gelingt es Deutschland – insbesondere Unterfranken – überhaupt, qualifizierte Zuwandernde zu gewinnen?
Stefan Beil: Die qualifizierte Zuwanderung ist ein wichtiger Baustein. Unser Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat errechnet, dass wir eine jährliche (Netto)-Zuwanderung von 400.000 Erwerbspersonen benötigen, damit unser Erwerbspersonenpotenzial langfristig konstant bleibt. Mit der Neuausrichtung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hat der Gesetzgeber hierfür einen ersten wichtigen Schritt getan, weitere werden jedoch folgen müssen. Dass die Beschäftigung in der Vergangenheit in Unterfranken weitgehend stabil geblieben ist, ist ausschließlich der wachsenden Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften zu verdanken. Die Anzahl derer mit Berufsabschluss ist in den letzten fünf Jahren um rund 33 Prozent auf knapp 18.000 angewachsen. Die Beschäftigung von Deutschen ist dagegen um 1,8 Prozent gesunken. Es gelingt uns also auch in Unterfranken, qualifizierte Zugewanderte zu gewinnen.